Es stimmt mich nachdenklich, wie so mancher deutsche Manager:in mit der Digitalisierung umgeht.
Zum einen aus Unternehmenssicht. Zum anderen für sich selbst.
Statt den eigenen „digitalen Traum“ zu leben, erleben derzeit viele ein digitales Trauma.
Zumindest war das mein erster Gedanke, als die Ergebnisse der Studie „Leadership in der digitalen Welt – wo stehen die deutschen Unternehmen?“ in meinem News-Stream auftauchten.
Stellt sich die Frage nach dem Warum.
Doch zunächst etwas mehr zum Hintergrund:
Die Personalberatung Boyden Executive Search und die EBS Business School haben im Rahmen der o.g. Studie Vorstände, Manager:innen, Führungskräfte und Beiräte befragen lassen. Quer durch unterschiedliche Branchen, darunter große Konzerne und mittelständische Unternehmen.
Fragestellungen waren u.a.
- Haben deutsche CEOs die Möglichkeiten der Digitalisierung bereits erkannt und ihre Unternehmen darauf ausgerichtet?
- Sind die Unternehmen im Hinblick auf ihre Top-Führungskräfte gut aufgestellt, um digitale Strategien umzusetzen?
- Inwieweit nutzen Top-Manager:innen bereits die Möglichkeiten der Digitalisierung, z.B. Internet of Things (IoT) oder Big Data, für Strategie, Innovation und Führung?
- Welcher Typ Manager:in wird für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie benötigt?
So vielfältig wie die mehr als 25 Fragen waren, so ernüchternd sind (leider) die Ergebnisse.
Hier ein paar Fakten:
- 81% der deutschen Manager:innen glauben, dass sie nur bedingt auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet sind.
- 57% der Unternehmen sind der Meinung, dass ihre Führungsriege beim Thema digitale Strategien nicht auf dem neuesten Stand ist.
- 50% der Top-Manager:innen räumen ein, IoT oder Big Data nur bedingt zu nutzen.
- Keiner der Befragten ist der Meinung, dass Top-Manager:innen in Deutschland in vollem Umfang die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen.
Selbsterkenntnis: Ja.
Veränderungsbereitschaft: Nein!
Diese Aussage trifft vor allem für das mittlere Management zu. Denn laut Boyden-Studie sind immerhin 65% der befragten Führungskräfte der Ansicht, dass hier die größten Bremser der Digitalisierung sitzen.
Warum ist das so?
Die Gründe sind sicher verschieden: Angst vor Veränderung oder sogar Jobverlust, kein Weiterkommen in Sicht, Unwissenheit, Fehleinschätzung, kein Budget, keine Zeit, falscher Fokus, kein Fokus, Ignoranz, Arroganz, mangelndes (Selbst-)Vertrauen oder auch die Meinung, dass Digitalisierung für das eigene Unternehmen nicht wichtig genug sei.
Letzteres höre ich übrigens in persönlichen Gesprächen immer wieder.
Es gibt tatsächlich noch Manager:innen in der Fertigungsindustrie, die beispielsweise keine Relevanz für das Thema Industrie 4.0 sehen. Laut eigener Aussage eignet sich ihr Maschinenpark nur bedingt zur Vernetzung. Was das genau bedeutet, bleibt dann in den Dialogen leider unbeantwortet.
Dass es bei Industrie 4.0 um weit mehr als nur die Vernetzung von Maschinen geht, scheint nicht jedem klar zu sein. Mal ganz abgesehen von den Wertschöpfungspotenzialen in anderen Bereichen einer Organisation: Vertrieb, Marketing, HR oder F&E.
Digitales Trauma: Verständnis.
Und auch nicht!
Es mag nach den letzten Absätzen vielleicht sonderbar klingen, ich habe definitiv Verständnis für diese Haltung. Denn schließlich geht es bei der digitalen Transformation nicht zuletzt auch um Mitarbeiter:innen, Kollegen:innen, Kunden, Partner, Lieferanten – kurz: um Menschen.
0 oder 1.
AN oder AUS.
LOAD oder UNLOAD.
Das mag bei Computer mit passender Software funktionieren.
Für Menschen, die denken, fühlen und handeln, ist Veränderung ein komplexer und kontinuierlicher Prozess.
Allerdings gibt’s dabei auch einen Aspekt, für den ich absolut kein Verständnis habe: Dass all die genannten Herausforderungen schon länger bekannt sind und bis heute nur zögerlich gelöst werden.
Zum einen ist es unsere Aufgabe als Gesellschafter:innen, Unternehmer:innen und Führungskräfte, das mittlere Management zu unterstützen. Wir müssen alle unsere Manager:innen befähigen, ihnen mehr Freiraum geben – ja sogar Mut im Umgang mit der digitalen Welt machen.
Es ist aber vor allem auch die Aufgabe des mittleren Managements, selbst offen für den digitalen Wandel zu sein – ihn als Chance und nicht als Bedrohung zu verstehen.
Jeder Manager:in sollte erkennen, dass er bzw. sie die Digitale Transformation nicht aufhalten kann. Sehr wohl aber die freie Entscheidung hat, aktiv mit dabei zu sein.
Egal, welches persönliche Motiv die Akzeptanz fördert oder den Widerstand schürt – zum Schluss muss sich jeder eine Frage selbst beantworten:
Will ich die digitale Zukunft mitgestalten? Oder nicht?